München – Der Verband der Privaten Krankenanstalten in Bayern e.V. (VPKA) moniert seit langem die überbordende Bürokratie im Gesundheitswesen. Erst im November 2022 hatte sich der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek bei diesem Thema auf die Seite der Kliniken geschlagen und von der Bundesregierung und den weiteren verantwortlichen Akteuren einen Bürokratieabbau auf das notwendige Maß gefordert. Stattdessen kommt nun mit dem neuen AOP-Katalog ein weiteres Bürokratiemonster auf die Ärzteschaft zu.
Beim AOP-Katalog handelt es sich um den Katalog der ambulant zu erbringenden Leistungen. Er wird regelmäßig zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und der Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) vereinbart. „Dieser AOP-Katalog ist über die Jahre beträchtlich angewachsen und umfasst zunehmend invasivere und größere Eingriffe, was zu einer großen Bedeutung der Krankenhäuser auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung geführt hat“, erläutert Prof. Dr. med. Roland Biber, Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Kliniken Dr. Erler gGmbH, Klinik für Unfallchirurgie. „Inzwischen gibt es zahlreiche ambulant durchzuführende Eingriffe, die vom kassenärztlichen Sektor kaum angeboten und nahezu ausschließlich von den Krankenhäusern erbracht werden; jene profitieren dabei von ihren Vorhaltestrukturen, da sie etwa bei schwereren Verläufen oder Komplikationen unmittelbar stationär weiterbehandeln können.“ Häufige Beispiele fänden sich in der Allgemeinchirurgie (z.B. Versorgung von selbst beidseitigen Leistenbrüchen, Nabelbrüchen, etc.) oder der Orthopädie und Unfallchirurgie (Eingriffe an Hand und Fuß, Gelenkspiegelungen, Entfernung von Osteosynthesematerial).
AOP-Katalog deutlich angewachsen
Mit dem Jahreswechsel 2022/2023 ist der AOP-Katalog nun erneut um 208 neue Prozeduren auf mehr als 3.000 Eingriffe angewachsen. Überdies wurden die langjährig etablierten GAEP-Kriterien abgelöst. Letzteres sorgt für massive Kritik.
GAEP-Kriterien ersetzt
Prof. Dr. med. Roland Biber: „Die GAEP-Kriterien boten bisher eine überschaubare Systematik an Vorgaben, welche eine stationäre Erbringung an sich ambulant durchzuführender Prozeduren erlaubt. Die GAEP-Kriterien waren auf eine Papierseite komprimierbar und aus medizinischer Sicht eingängig. So konnten etwa schlecht versorgte, alleinlebende und kommunikativ eingeschränkte Patienten bei Bedarf auch stationär behandelt werden, ebenso wie beispielsweise Patienten mit auffälligen Vitalwerten, schwerer Schlafapnoe oder anderen medizinisch anerkannten Gründen. Diese GAEP-Kriterien wurden nun abgelöst durch sogenannte Kontextfaktoren. Dabei handelt es sich um eine 267 Seiten (sic!) lange Liste an Diagnosen und Prozeduren, die Ärztinnen und Ärzte nun offenbar zusätzlich während ihrer Sprechstunden berücksichtigen sollen.“
Verschlechterung der Situation
Trotz der schieren Länge der Liste stelle diese eine wesentliche Einschränkung im Vergleich zur Vorsituation dar, stellt Biber klar. Es seien nahezu ausschließlich Diagnosen und Prozeduren aufgeführt, die bereits für sich genommen klare Krankenhausindikationen darstellten, wie beispielsweise Ebola, Dengue-Fieber, Herzstillstand u.Ä. „Praktikabel sind lediglich die aufgeführten höheren Pflegegrade bzw. die hochgradige Unselbstständigkeit gemessen an einem niedrigen Barthel-Index. Hingegen können Patienten, die etwa nach einer ambulanten Operation unter Übelkeit leiden und mehrfach erbrechen, ebenso nicht mehr stationär übernommen werden wie Patienten mit einer Bluthochdruckkrise.“
Ambulantisierung und Entbürokratisierung
Auch beim VPKA stoßen die Änderungen auf Unverständnis. Dessen Vorstandsvorsitzender Markus Stark sagt: „Der Trend zur Ambulantisierung ist richtig – jedoch muss diese im Interesse der Patient:innen und der Qualität mit deutlich weniger Bürokratie auskommen. Schließlich soll der Mensch im Mittelpunkt stehen und nicht die Dokumentation.“ Die Einführung einer Liste von 267 Seiten mit als ICD oder OPS zu kodierenden Kontextfaktoren spreche für sich. „Ziel war hier offensichtlich keine Entbürokratisierung oder gar Vereinfachung, sondern vielmehr die Schaffung einer für die Leistungserbringer nicht umsetzbaren Anforderung, deren Einhaltung andererseits durch die Kostenträger durch EDV-technischen Abgleich der ICD- und OPS-Ziffern besonders leicht zu kontrollieren ist. Gleichzeitig ergibt sich eine Verschlechterung der Patientenversorgung, da zahlreiche Fälle einer stationären Behandlungsnotwendigkeit nicht mehr abgebildet werden.“
Prof. Dr. med. Roland Biber ergänzt: „Eine Ambulantisierung wird am Ende nur mittels geeigneter Anreize gelingen. Wenn etwa die Eingriffe dieses Katalogs bei stationärer und ambulanter Erbringung gleich vergütet würden - bis auf vielleicht einen realistischen Hotelkostenanteil -, dann würde auch die Ambulantisierung sicher schnellere Fortschritte machen. Die derzeitige Bürokratisierung hingegen führt nur dazu, dass Medizinische Dienste der Krankenkassen personell aufrüsten, wobei diese Arbeitskräfte dann im Gesundheitssystem noch zusätzlich fehlen.“