Soll die Konservative Orthopädie abgeschafft werden?

Unverständnis über politische Entscheidungen

Bayern - „Die Konservative Orthopädie, also die Behandlung von Störungen am Bewegungsapparat ohne Operation, wurde in den zurückliegenden Jahren Schritt für Schritt von politischer Seite demontiert“, kritisiert Dr. Martin Linke, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin und Leiter des Bereichs Medizincontrolling der Simssee Klinik Bad Endorf und der Klink St. Irmingard in Prien am Chiemsee (beides Einrichtungen der Gesundheitswelt Chiemgau). Dieser Trend setze sich nun mit der Krankenhausreform fort. „Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt keine Vorstellung, ob es uns in ein paar Jahren noch geben wird oder nicht. Dabei ist der Bedarf in der Bevölkerung riesig.“ Er erläutert die Gesamtproblematik.

Um die Thematik besser zu verstehen, ist es wichtig, die Hintergründe zu kennen. Diese erläutert Martin Linke am Beispiel der Simssee Klinik, einer Mitgliedseinrichtung des VPKA. „Rückenschmerzen sind eine wahre Volksseuche. Sie sind in jeder Statistik immer der erste Grund für Arbeitsunfähigkeitstage. Die Behandlung ist oft schwierig und erfordert eine komplexe Herangehensweise. Und seit Jahrzehnten beklagen z.B. die Krankenkassen, es würden viel zu viel Wirbelsäuleneingriffe durchgeführt.“ In Bayern finden die Betroffenen vor allem in den entsprechenden Fachkliniken Hilfe. Die Simssee Klinik ist eine solche Fachklinik. Als gemischte Krankenanstalt verfügt sie über eine Orthopädische Akutklinik mit einem Zentrum für Konservative Akutorthopädie und Manuelle Medizin, einer Multimodalen Schmerztherapie und einer Orthopädisch-Unfallchirurgischen Frührehabilitation. Hinzu kommt eine Orthopädisch-Unfallchirurgische Rehabilitationsklinik. „Wir führen Komplexbehandlungen durch, die ein Maximalversorger so nicht leisten könnte. Dazu gehören neben der akuten, interventionellen Schmerztherapie vor allem bewährte Therapieverfahren wie Physio-, Ergo-, Sport-, und Elektrotherapie, Manuelle Medizin, Osteopathie, Massage und psychosomatische Behandlungen. Damit erzielen wir seit Jahrzehnten gute Erfolge.“ Doch dieser Behandlungsansatz scheint mehr und mehr gefährdet.

„Ein politischer Kardinalfehler war in meinen Augen die Zusammenlegung des bis dahin eigenständigen Fachgebiets Orthopädie mit der Unfallchirurgie im Jahr 2005. Im Zuge dessen waren die betroffenen Kliniken plötzlich gezwungen, ihre Fachabteilungen umzufirmieren. Unser Problem als Konservative Orthopädie: es gibt keinen passenden Fachabteilungsschlüssel. Für uns gilt nun der Schlüssel `Allgemeine Chirurgie´, was absurd ist, da wir uns ja gerade dadurch auszeichnen, dass wir nicht operieren.“ Die Vorgaben stellten die Kliniken vor gravierende Probleme. „Zum Beispiel sind wir gezwungen, denselben hohen Pflegepersonalschlüssel anzuwenden wie in der Allgemeinen Chirurgie. Bei Nichteinhaltung werden wir mit hohen Strafzahlungen belegt, dabei brauchen wir in unserem Segment gar nicht so viele Pflegekräfte. Wir haben stattdessen einen sehr hohen Bedarf an therapeutischen Fachkräften.“ Konkret bedeute dies: „Wir müssen Pflegekräfte beschäftigen, die wir nicht brauchen und die angesichts des Fachkräftemangels kaum zu bekommen sind. Da bleibt uns nur der Weg zu Zeitarbeitsfirmen. Die Pflegekräfte von dort sind deutlich teurer und werden nicht vollständig refinanziert.“

Mit der geplanten Krankenhausreform verschlimmere sich die Lage nun womöglich noch. „Denn die Konservative Orthopädie kommt im Referentenentwurf schlicht und einfach nicht vor. Unter den fünf Leistungsgruppen Orthopädie gibt es keine einzige, die für unseren Bereich geeignet ist. Somit wird die Realität völlig negiert, dass es Millionen von Rückenpatienten gibt, für die eine Operation kein zielführender Behandlungsweg ist und für die eigentlich nur eine konservativ orthopädische Behandlung in Frage kommt.“ Auch die orthopädisch-unfallchirurgische Frührehabilitation könne nirgends eingeordnet werden. „Es ist mir unverständlich, warum die geriatrische Frührehabilitation berücksichtigt wird, die neurologische und die orthopädisch-unfallchirurgische aber nicht“, so Linke kopfschüttelnd. „Dabei ist diese Behandlung für den Heilungsverlauf der betroffenen Patienten und für das langfristige Ergebnis von großer Bedeutung und auch die Akutkliniken sind froh über die Entlastung, die wir ihnen hiermit bieten können.“

Ein weiteres Problem: spezifizierte Leistungen wie die oben genannten werden - vor allem in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern – in erster Linie durch Fachkliniken erbracht. Aber diese waren im 1. Referentenentwurf zum KHVVG nicht vorgesehen. „Um weiter am Netz bleiben zu können, müssten wir in Zukunft zusätzlich Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie sowie eine komplette Notfallversorgung anbieten. Das ist vollkommen utopisch und noch dazu sinnlos.“ Zwar wäre es den Häusern auch ohne diese Zusatzabteilungen weiterhin erlaubt, ihre bisherigen Leistungen anzubieten, „ABER wir bekämen dann keine Vorhaltepauschale. Somit würden uns 60 Prozent unserer Einnahmen fehlen.“ Die Krankenhausreform könnte somit für die entsprechenden Einrichtungen das Ende bedeuten. Mittlerweile gebe es zwar „die vage Aussage“, dass es eine eigene Regelung für Fachkliniken geben könnte, „was das konkret bedeutet, ist uns allerdings noch völlig unklar.“ Martin Linke: „Mich würde wirklich interessieren, warum die Entscheidungen so gefällt werden, wie sie gefällt werden. Ist es so, dass auf oberster Ebene tatsächlich niemand über Sonderfälle wie unseren Bescheid weiß oder ist es bewusstes Kalkül, um uns vom Netz zu nehmen?“ Er betont: „Es herrscht breiter Konsens darüber, dass eine Krankenhausreform nötig ist. Für eine vernünftige und zielführende Neuausrichtung wäre es jedoch unbedingt notwendig gewesen, sich im Vorfeld genaustens mit der Versorgungslandschaft als Ganzes zu befassen und eine Auswirkungsanalyse zu erstellen. Beides ist leider nicht erfolgt. Wenn nun im Zuge der Reform 600 kleinere Kliniken zum Aufgeben gezwungen werden, kommen die nicht wieder. Die Devise `möglichst große Häuser und möglichst kurze Behandlung´ ist ein falscher Ansatz. Sie sorgt für eine neue Versorgungsrealität, die wesentlich schlechter sein wird als der Status quo.“