München – Reha- und Vorsorgeeinrichtungen befinden sich in einer anhaltenden Krise, die durch die Kostensteigerungen bei Lebens- und Sachmitteln, Energie und Personal weiter verschärft wurde. In Ermangelung von Refinanzierungsmöglichkeiten stehen zahlreiche Einrichtungen am Rand des wirtschaftlichen Abgrundes. Ulf Ludwig, Vorstandsmitglied des Verbands der Privatkrankenanstalten in Bayern e.V. (VPKA) und des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK), beleuchtet die Hintergründe für die Krise der Reha und erklärt, welche politischen Weichenstellungen jetzt nötig wären.
Die Corona-Pandemie hat viele Reha- und Vorsorgeeinrichtungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Die Nachwirkungen sind bis heute in Form von weiterhin hohem Mehraufwand für Hygieneschutzmaßnahmen sowie einer nach wie vor hohen Zahl krankheitsbedingter Ausfälle bei Personal und Patient:innen deutlich spürbar. „Die Einrichtungen hatten bis heute keine Chance, sich wirtschaftlich von Corona zu erholen, da kamen schon die Inflation und Energiekrise“, sagt Ulf Ludwig, CEO der Medical Park Klinikgruppe mit 13 Reha-Kliniken und fünf ambulanten Reha- und Therapiezentren. „Von den staatlichen Hilfen zur Energiepreisexplosion kam bisher noch kaum etwas bei den Häusern an – oder wenn, dann erst mit mehrmonatiger Verspätung. Die Soforthilfe vom Dezember 2022 beispielsweise kam erst im März 2023. Vom Mindererlösausgleich wurde noch fast nichts ausbezahlt, unter anderem, weil auch die Behörden und Kostenträger mit Fachkräftemangel und hohen Krankenständen zu kämpfen haben und Anträge somit nicht bearbeitet werden können.“ Dies führe dazu, dass die Einrichtungen die hohen Kosten komplett vorfinanzieren müssten, obwohl die Branche ohnehin schon immer sehr knapp aufgestellt gewesen sei.
Nötige Auslastung unerreichbar
„Um kostendeckend zu arbeiten, brauchen Rehaeinrichtungen eine Auslastung von 95 Prozent. Angesichts weiterhin hoher Krankenstände und des akuten Fachkräftemangels ist dieser Wert derzeit utopisch“. Mit einem Tagessatz von rund 130 bis 160 Euro pro DRV-Patient müsse Diagnostik, Therapie und Vollpension abgedeckt werden „Die Marge ist ohnehin extrem knapp berechnet. Bei der geringeren Auslastung und den jetzigen Preisen kommt man damit gar nicht mehr hin“, so Ludwig. Den aktuellen Preisexplosionen 2022 seien Reha- und Vorsorgeeinrichtungen erst einmal ohne jedwede Refinanzierungsmöglichkeit ausgeliefert gewesen. Staatliche Hilfspakete für 2022 können bisher noch nicht einmal beantragt werden. Für 2023 sei überhaupt kein gesetzlicher Ausgleich der erhöhten Energie-, Sach- und Lebensmittelkosten vorgesehen. „Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Kliniken dies über die neu ausgehandelten Vergütungssätze abfedern – doch dazu wäre eine Steigerung im zweistelligen Prozentbereich erforderlich. Eine solche wage ich ebenfalls als utopisch zu bezeichnen, da die Kostenträger ja ebenfalls vor einer großen Finanzierungslücke stehen“, zeigt sich Ulf Ludwig skeptisch.
Einsparpotenziale voll ausgeschöpft
Die Einrichtungen hätten ihre Einsparpotenziale voll ausgeschöpft. An Investitionen, die helfen würden, die Misere zu mildern, sei derzeit überhaupt nicht zu denken. „Dabei könnten hier zukünftige Kosten vermieden werden, sei es im Energiesektor durch die Nachrüstung mit Photovoltaik, Wärmepumpen und Steuertechnik oder aber durch Digitalisierungsmaßnahmen in der Therapie. „Es gibt wirklich effektive, von den Therapeut:innen und Patient:innen gern genutzte digital gestützte Therapiemethoden, bei denen eine Fachkraft mehrere Personen gleichzeitig hochwertig betreuen kann. Auf diese Weise könnte man nicht vorhandenes Personal durch Digitalisierungsmaßnahmen einsparen. Angesichts des extremen Fachkräftemangels wäre dies absolut sinnvoll. Doch dies ist in der Reha aufgrund der starren und restriktiven Vorgaben der Kostenträger zum Stellenplan nicht refinanzierbar. Somit sind die Häuser neben unvermeidbaren Bettenschließungen aufgrund von Fachkräftemangel überdies mit enormen Gehaltssteigerungen und erhöhten Recruiting-Kosten konfrontiert.“
Alte Strukturen auflösen
Ulf Ludwig sieht Auswege aus der Problematik: „Die Politik muss sich trauen, alte Strukturen aufzulösen.“ So müsse etwa die monistische Finanzierung, derzufolge Investitionsmittel alle aus dem Pflegesatz finanziert werden müssen, dringend auf den Prüfstand. „Wir brauchen dringend separate Töpfe für Investitionen in Innovationen und Digitalisierungsmaßnahmen sowie für die Weiterqualifizierung der Mitarbeitenden. Überdies müssten Rehakliniken in Krisensituationen die Möglichkeit zu unterjährigen Nachverhandlungen mit den Kostenträgern erhalten - aktuell ist dies schlichtweg nicht möglich. Sach- und Personalkostensteigerung sollten kurzfristig refinanziert werden. Eine Flexibilisierung in der Reha wäre extrem hilfreich“, so Ludwig. „Dabei sollte die Ergebnisqualität im Vordergrund stehen, nicht die starre Vorhaltung von Strukturmerkmalen. Die angespannte Lage bei den Fachkräften und die damit einhergehenden Bettenschließungen wirken sich ja schon jetzt deutlich negativ auf die Patientinnen und Patienten aus, die nicht selten mehrere Monate auf einen Rehaplatz warten müssen. Der Bedarf ist riesig.“
Reha ist Teil der Lösung, nicht Teil des Problems
Er betont: „Die Aufgabe der Reha ist es, Menschen wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen und Pflegebedürftigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit abzuwenden. Wenn wir dieser Aufgabe nicht nachkommen können, hat das zum einen dramatische Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen und verursacht überdies einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Politik muss den Ernst der Lage endlich erkennen und begreifen, dass die Reha Teil der Lösung ist und nicht Teil des Problems. Wenn jetzt nicht schnell entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, brechen wichtige Versorgungsstrukturen der Reha in absehbarer Zeit unwiderruflich weg.“